Maria Seitz
Multicolor Refill 3
Intercolor 2
Multicolor 7
Multicolor Refill 2
Intercolor 1
Multicolor Refill 1
Multicolor Black 2
Multicolor Black 1
Brokat 3
Multicolor 5
Brokat 2
Multicolor 4
Multicolor 3
Multicolor 2
Multicolor 1
Kumulat 2
Gradual
Kumulat 1
Band
Fransen
Brokat 1
Foam
Knits
Linie 8
Linie 7
Linienbündel
Linie 6
Linie 5
Previous Work
Text
CV
Contact



 

 



Text anlässlich des Berlin Hyp Award
von Ines Wittneben, 2022

Wie ein Vorhang aus bunten Fäden scheinen die Striche von Maria Seitz vor dem Papier
zu hängen. Ohne jegliche physische Bewegung entfalten sie in der optischen Wahrnehmung der Betrachter:in eine faszinierende Dynamik. Lediglich Papier und einen Buntstift mit mehrfarbiger Mine nutzt die Künstlerin für ihre aktuelle Serie “Multicolor”. Ihre Zeichnungen entwickelt Maria Seitz in einem meditativen Prozess Strich für Strich nebeneinander, wobei jeder Zug des Stifts eine Variation hervorbringt, die nicht nur von Druck und
Linienführung abhängt, sondern insbesondere von der Haltung und Drehung des Zeichenwerkzeugs. Kleine Unregelmäßigkeiten in der manuellen Strichsetzung kreieren winzige, unterschwellige Irritationsmomente, die die Zeichnungen einzigartig und lebendig machen. Grüne, blaue, gelbe und rötliche Partien wechseln sich in jedem Strich neuartig ab, gewichten sich immer wieder anders. Dort, wo sich unterschiedliche Farben vermeintlich zu nahe kommen, vermischen sie sich zu neuen. Erst in der Serialität erschließt sich der vorherrschende Farbton des Bildes, bilden sich aus etwas Distanz betrachtet irisierende Flächen mit räumlicher Qualität heraus, die neue Assoziationen hervorrufen.

Die Arbeiten fügen sich ein in ein bisheriges Gesamtwerk, in welchem die Künstlerin sich immer wieder neu mit repetitiven Verfahren und systematisch angelegten Zeichenprozessen auseinandersetzt. Kleinere Formate entstehen dabei neben großflächigen, physisch noch herausfordernderen Zeichnungen. Unter dem Titel “Intercolor” entwickelt Maria Seitz parallel eine neue Serie von Arbeiten, in denen sie zwei verschiedenfarbige Linien bewusst ineinander führt und so eine zentrale Übergangszone schafft, innerhalb welcher sich die beiden Farben mischen. In der Wiederholung nebeneinander bilden sie ein drittes Farbfeld, das als abstrakter Horizont gelesen werden kann. Trotz zeichnerischer Leichtigkeit werden hier Erinnerungen an die Color Field Paintings des 20. Jahrhunderts geweckt. Eine hintergründige Anspielung auf die früher beliebten, mit Gold- und Silberfäden durchwirkten Prunktextilien ist darüber hinaus die Serie “Brokat”, für die die Künstlerin Muster mit herkömmlichen Tackernadeln in das Papier setzt. Während sie die eigentliche Funktion dieser alltäglichen Materialien ad absurdum führt, weiß Maria Seitz die Betrachter:innen mit deren ungeahnt ästhetischem Gehalt zu verblüffen.

Mit ihrem minimalistischen Ansatz zelebriert Maria Seitz die Wiederholung und eröffnet gleichzeitig komplexe, rhythmische Farbräume, die eine enorme kontemplative Wirkung entfalten. Nie hat man den Eindruck, diese nahezu alchemistischen Kompositionen in Gänze erfassen zu können. Vielmehr evozieren sie einen Sog und den Impuls, darin einzutauchen und die unterschiedlichen Farben auf sich einwirken zu lassen, welche den Charakter jedes Bildes auf besondere Weise prägen.


 

Das Rot mit dem Blau zwischen dem Gelb
Text zur Multicolor-Werkgruppe
von Hannah Mevis, 2022

Maria Seitz arbeitet an der fortlaufenden Multicolor-Serie seit 2021. Beim Betrachten der Werke, die in Farbe und Dimension variieren, reflektiert sich auf Netzhaut und Gedanken das absurd-faszinierende Ereignis der Farbwahrnehmung: Wenn die Sonne am Morgen
ihre ersten Lichtstrahlen durch das Fenster wirft, beginnt auch die Zeit, in der das menschliche Auge nicht nur Licht, sondern auch Farbe wahrnehmen kann. Bei Nacht sehen wir nämlich nur vermindert bzw. gar keine Farbe. Dies hängt mit der Lichtempfindlichkeit der Zapfen und Stäbchen im Auge zusammen und führt zur Wahrnehmung dieses Phänomens. Wer mal die Sagrada Familia von Gaudi in Barcelona besucht hat und das Glück hatte, dass gerade zu dieser Zeit die Sonne im richtigen Winkel durch die farbigen Fenster des Seitenschiffes gestrahlt hat, konnte bestimmt beobachten, wie farbiges Licht im Raum geradezu greifbar wird.

J. W. Goethe: Zur Farbenlehre, Kapitel: Abnahme der farbigen Erscheinung („)

Gelbrot Blau
Gelb Blaurot
Grün Purpur
Blau Gelbrot
Blaurot Gelb


Hier erscheinen also die Bilder noch völlig gefärbt, aber diese Reihen sind nicht als ursprüngliche, stetig sich auseinander entwickelnde stufen- und skalenartige Reihen anzusehen; sie können und müssen vielmehr in ihre Elemente zerlegt werden, wobei man ihre Natur und Eigenschaft besser kennenlernt. Diese Elemente sind:

Gelbrot Blau
Gelb Blaurot
Weißes Schwarzes
Blau Gelbrot
Blaurot Gelb


Eine Linie besteht aus Punkten, die sich aneinanderreihen. Eine Fläche entsteht aus Linien, die sich an- und übereinander schmiegen. Ausgehend von der Mine des Buntstifts entfalten sich Farben, Licht und Raum in Linien. Sie beinhalten meditative Bewegungsabläufe der Künstlerin und erschaffen in ihrem parallelen Miteinander Eins und Viele zugleich. Eins im Sinne einer Zeichnung und Viele im Sinne von der Vielschichtigkeit durch die farbliche Fächerung der einzelnen Linien.

Es scheint, als würden sich die Farben durch ihre wechselseitige Präsenz in ihre Elemente zerlegen und in den Raum hervortreten. Rosa neben Gelb zum Beispiel verhält sich in dem Zusammenspiel anders, als die eigene Farb-Intuition erwarten lassen würde. Dadurch lassen sich die Farben, wie von Goethe schon angesprochen, in ihrer Natur und Eigenschaft besser kennenlernen.
Die Farbigkeit einzelner Linien tritt hervor und besticht durch Plastizität. Dahinter verteilen sich die Teilchen von Farb- und Lichtstrahlen und beginnen ineinander zu schweben. Sie erschaffen einen schwirrend-fließenden Schimmer, der den Wunsch hervorruft, sich zwischen den Linien hin- und herbewegen zu können. Dass es in der Natur eigentlich keine Farbe, sondern nur elektromagnetische Strahlung gibt, deren sichtbarer Anteil als Licht bezeichnet wird; und die zusammenhängende Farbwahrnehmung abhängig von der Wellenlänge ist, die auf der Netzhaut auftrifft, spielt eigentlich keine Rolle mehr, wenn das Auge
z. B. Blau sehen kann.

Maggie Nelson: Bluets, Nr 112 („)
Gelegentlich habe ich gehört, dass wir nicht
in Farbe träumen. Aber das ist sicher ein
Irrtum. Wir können nicht nur in Farbe träumen,
sondern – was noch wichtiger ist – wie
könnte jemand anderes wissen, ob wir es tun
oder nicht?




Läuferinnen
Text für den Katalog 'Chromatic Scale'
von Agnes Müller, 2022


Die Laufbahn ist bestimmt, der Start kontrolliert. Als Läuferin prescht die Linie euphorisch das Blatt hinab. Sie zögert und ziert sich nicht, sondern zeigt sich in ihrer vollen Pracht. Auf der Geraden dreht sie sich und bringt hervor, was in ihr steckt. Mit Schwung läuft die Linie aus. Es folgt ihr eine Läuferin nach der anderen. Die eine löst die Vorherige ab, hängt sich dicht daneben. Jede tut es der anderen gleich, indem sie in ihrem eigenen Spektrum rotiert und sich zur Schau stellt.

Im Nebeneinander verbinden sich die Läuferinnen. Bahn für Bahn wachsen ihre zurückgelegten Strecken zur Fläche. Die Fläche spannt sich vor das Blatt und wird von ihm gehalten. Zur Staffel treten Verläuferinnen hinzu. Ungeachtet der Bahnen ihrer Kolleginnen, formieren sie entlang derer Farbverwandtschaften bewegliche Felder. Als vage Grenzgängerinnen erzeugen sie Unruhe. Sie verlaufen sich in hellen und dunklen Partien, die sich ineinander schieben. Sie gehen von einem Farbfeld ins andere über, wandern unscharf über die geraden Linien hinaus. Die Verläuferinnen bringen die Fläche zum Schillern und zum Schwingen.

Aus der Distanz zeigt sich ein lustvoll freudiges Spektakel aller Beteiligten. Im Verbund bilden sie eine leuchtende Oberfläche. Diese wird zum Vorhang, dessen unstetig glänzende Wellen im Licht schimmern – schleierhaft und lockend. In diesem Schillern steckt der Zwiespalt und so drängt sich ein Verlangen auf, in diese Dichte und dubiose Durchlässigkeit vorsichtig hineinzugreifen, um einen Teil von ihr zur Seite zu schieben und sie zu öffnen.

Doch im Dahinter liegt kein verstecktes Spiel. Der Vorhang selbst ist das Ereignis, das er verspricht. Die Läuferinnen schillern für sich, sie sind in ihrer vollen Pracht ambig. Das Klar-Umrissene und Abgegrenzte kommt ins Schwanken, bewegt sich hin und her, fängt an zu flirren. Im Nebeneinander und Umherwandern zeigt sich immerfort der Wandel.

 

 

 

Geschenk
für die Publikation 'Jahre, Tage'
von Ronja Paffrath, 2016/2022


Maria, ich hab' dir ein Glas geblasen,
es halb voll Wasser aus der Leitung gelassen,
es steht an einem bewölkten Tag auf der Fensterbank.
Die Kurven im Wasser, die weiß sind, blenden
als einzige Form hier undurchsichtig und
für deine zwei Augen gibt es das Gimmick:
Aus feinen Linien rund ausgelaufen siehst du in logischer Reihe
alle Farben des sichtbaren Lichts.